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Kontraste, Lebensverhältnisse in Russia, Teil II

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Alte Datscha bei Kobralowo (Quelle: Ekkehard Boldt)
GDN - Die heimliche Hauptstadt Russlands, das Venedig des Nordens, Sankt Petersburg (Leningrad)mit seinen 5 Millionen Einwohnern auch die viertgrößte Stadt Europas und zweitgrößte von Russland, kann durchaus als repräsentativ für diese Betrachtung herangezogen werden.
alte Frau verkauft Datscha-Produkte am Straßenrand
Quelle: Ekkehard Boldt
Eine gute Mittelschicht nach deutschem oder europäischen Vorbild gibt es in Russland nicht oder sehr gering. Geld hat, wer ein Geschäft besitzt, also selbständig ist. Der Arbeiter oder Angestellte verdient lange nicht so viel vergleichbar mit den Kollegen im Westen. Die “Soziale Schere“ klafft also mächtig auseinander. Jedoch ticken die Uhren in Russland in vielerlei Dingen anders als bei uns und um fair zu bleiben, so ist der Lebensstandard, verglichen mit dem der Sowjetzeiten, erheblich gestiegen.
Wer alt ist und keine Unterstützung von seinen Kindern erfährt, ist schlimm dran. Olga, eine “Babuska“ lädt mich ein und erzählt von ihrem Leben. Sie gehört zu der Generation, die im Kindesalter die Blockade von Leningrad erlebt hat. 60 Jahre hat sie ihre Arbeitskraft hingegeben, mit 15 bereits begonnen und sich im Leben immer weiter hochgearbeitet und fortgebildet. Zum Schluss hatte sie die Stellung einer Produktionsmanagerin einer bekannten russischen Porzellanmanufaktur inne. Geblieben ist der heute schwerkranken Frau eine Rente von €500 im Monat, wobei hierin Behinderten- und Sonderzuschläge berücksichtigt worden sind. Bei den staatlichen Bezügen hat unsere “Babuska“ somit die oberste Leitersprosse erreicht.
Bautätigkeiten überall
Quelle: Ekkehard Boldt
Jedoch sind Produkte, die das Leben lebenswerter gestalten, gar Luxusartikel, damit nicht zu erwerben. Seit Stalins Zeiten und dem Baubeginn einheitlicher Wohnhausblocks, wurden viele Einheiten verdienten Arbeitern und Parteigenossen überlassen. So ist es nicht verwunderlich, dass es kaum Mietwohnungen gibt. Es ist hier ausdrücklich nicht von modernen, neu erstellten Wohnhäusern gehobenen Standards die Rede. Da gibt es natürlich Mietwohnungen, die spekulativ erworben wurden und nach einiger Zeit, wieder abgestoßen werden.
Olga bewohnt eine 3-Zimmer 70m² Wohnung, in der 5. von 9 Etagen. Der Häuserblock ist heruntergewirtschaftet, Baujahr(geschätzt) 70iger Jahre. Drinnen sieht es aus wie bei “Hempels“. “Ich kann mich von nichts trennen“, sagt sie und fügt hinzu: “Wenn ich sterbe, kann meine Tochter und Enkelkinder hier aufräumen und alles verkaufen“. Habe dann später die Tochter gefragt, was so eine Wohnung denn wert sei. “5Mio.Rubel müssten wohl noch zu erzielen sein“, war die Antwort. (nach heutigem Kurs € 65-70ig Tausend)

Durchschnittswohnung1
Quelle: Ekkehard Boldt
Durchschnittswohnung2
Quelle: Ekkehard Boldt
Durchschnittswohnung3
Quelle: Ekkehard Boldt
Olga erzählt weiter, berichtet von ihrer Ehe, von ihrem Mann, der Kommunist war und Bau-Architektur studierte. Viele bedeutende Gebäude in Sankt Petersburg habe er leitend miterschaffend betreut, ja habe er viele Westländer zu Sowjetzeiten besucht und in Ägypten beim Assuan-Staudamm mit gearbeitet. Zu jener Zeit wies man ihnen eine schöne Wohnung an der Newa, neben dem Sommerpark Peter I. zu. Ihr Mann wurde irgendwann denunziert und bekam einen untergeordneten Posten. Leider verstarb er in frühen Jahren und die Witwe war allein und wollte in ihrem Leben ihre große Liebe durch keinen anderen Mann ersetzen.
Die Oma besitzt noch eine Datscha auf dem Lande, welche mich neugierig macht. Mit dem Auto sind es eineinhalb Stunden Fahrt Richtung Süden. Nach Puschkin und Pawlowsk geht es weiter nach Kommunar, einer früheren Arbeitersiedlung, welche sich in jüngster Gegenwart als “Städtchen“ gemausert hat. Dann fahren wir plötzlich in einen Seitenweg. Stolz wird berichtet, dass er vor einem Jahr eine Teerdecke bekommen hat, oder besser, mit plattgewalztem Teerschotter bedeckt wurde. Im Schritttempo schaukelt unser Auto noch etwa eine viertel Stunde an einigen Datschen vorbei, dann wird rechts erneut abgebogen und der jetzt“ Lehm Weg“ wird immer schlechter, in der regnerischen Jahreszeit nur mit Allrad zu befahren. Wir sind da.
kleines intaktes Kaufhaus der Datscha-Siedlung
Quelle: Ekkehard Boldt
Elektrifizierung erst seit kurzem
Quelle: Ekkehard Boldt
Wegverhältnisse
Quelle: Ekkehard Boldt
Wohnidylle
Quelle: Ekkehard Boldt
kleiner Teich als Schwimmbad genutzt
Quelle: Ekkehard Boldt
Wohnidylle
Quelle: Ekkehard Boldt
Kobralovo, eine in den 60iger Jahren entstandene Datscha Siedlung. Viele der kleinen Häuschen machen einen baufälligen Eindruck, dass diese überhaupt bewohnt sind, wundert mich. Bei 90% der Hütten ist seit der Gründung nichts mehr gemacht worden. Bei einem Spaziergang offenbart sich das Elend. Wer wohnt hier noch? Meist die Alten und nicht wenige das ganze Jahr. Die Leute haben eben das Geld nicht. Nun muss man wissen, dass eine Datscha normalerweise ein Sommerwohnsitz ist und in dieser Zeit am Wochenende sehr viele Familien ihre Freizeit auf ihren Datschen rundum St. Petersburg verbringen. Diese Siedlung ist in die Jahre gekommen und nicht mehr attraktiv, auch von der Lage her.
Renovierte oder neue Häuser hab ich wenige gesehen, wenn, dann waren diese gepflegt und zeigten, dass es auch anders geht.
Olga hat es gut getroffen, die Familie hat ihr eine neue Hausverkleidung spendiert und in einem neuen kleinen Anbau ein modernes WC mit Dusche eingerichtet. Eine Elektrifizierung hat erst in den letzten Jahren stattgefunden, sodass wenigstens TV empfangen werden kann. Jetzt verstehe ich, warum ich hierher eingeladen wurde. In der Datscha sieht es aus, wie bei Ihr zu Hause. “Ich fühle mich so wohl hier und alles bleibt so wie es ist, wer was verändern will muss mit mir hier wohnen, oder meinen Tod abwarten“ sagt sie verschmitzt nachdenklich, ohne zu lächeln.
Quelle: Ekkehard Boldt
Quelle: Ekkehard Boldt
Quelle: Ekkehard Boldt
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